Vor 80 Jahren: Ein (fast) liberales Strafgesetzbuch für die Schweiz

Gestern Vormittag hat gemäss Terminplanung die Rechtskommission des Nationalrates über das Weiter in Sachen Öffnung der Zivilehe für gleichgeschlechtliche Paare getagt. Seither warten wir ungeduldig über das beschlossene politische Vorgehen. Bis die Entscheidung eintrifft, verkürzen wir doch die Zeit mit einem Blick in die Geschichtsbücher: Vor genau 80 Jahren entschieden sich die Schweizer (die Schweizerinnen hatten damals noch kein Stimm- und Wahlrecht) an der Urne für ein (fast) liberales Strafgesetzbuch (StGB).

Es ging 1938, wie im aktuellen Newsletter von Schwulengeschichte.ch zu lesen ist, um das «erste Strafgesetzbuch der Eidgenossenschaft, das nicht auf moralischen Wertungen, sondern auf juristisch einwandfreien Grundsätzen basiert».

Einen ersten Entwurf gab es bereits 1893. Ein Entwurf des Bundesrates lag 1918 vor. Was die Frage der Homosexualität betraf, so schreibt Schwulengeschichte.ch, stützte man sich damals auf Gutachten von Fachleuten (Ärzte, Psychiater), «die darin keinen Fehler des Charakters, sondern einen Fehler der Natur erkannten». Sofort formierten sich Gegner, die in den «moralischen Neuerungen» – wie etwa die Abschaffung der Todesstrafe, die Abtreibung sowie die Freigabe von Prostitution und Homosexualität – eine Bedrohung der fundamentalen christlichen Werte unseres Volkes sahen.

Die anschliessende Grundsatzdiskussion der Befürworter und Gegner dauerte elf Jahre – bis sich das Parlament an die entscheidende gesetzgeberische Arbeit machte. Im Bereich Homosexualität war sie nur mit Konzessionen abzuschliessen: unterschiedliches Schutzalter (20 für Homosexuelle, 16 für Heterosexuelle), «Verführung» wird bestraft, männliche Prostitution bleibt verboten (im Gegensatz zur weiblichen).

Wie Schwulengeschichte.ch schreibt, ist damals mit dem einseitigen Verbot der männlichen Prostitution und dem schwammigen Begriff der «Verführung» ein juristischer Ermessenspielraum geschaffen worden, der für Schnüffelei, Denunziation, Erpressung Tür und Tor öffnete: «Das zerstörte in den fünfzig Jahren von der Inkraftsetzung des Strafgesetzbuches bis zu seiner Revision 1992 zahllose Existenzen und auch Leben durch Suizid».

Das Referendum der Gegner gegen das Gesetz kam zustande, abgestimmt wurde am 3. Juli 1938. Bei einer Stimmbeteiligung von 57 Prozent (nur Männer hatten das Stimmrecht) ergab sich eine Ja-Mehrheit von 54 Prozent. Schlussendlich konnte das StGB per 1. Januar 1942 in Kraft treten – fast 50 Jahre nach Arbeitsbeginn der ersten Expertenkommission. Und es dauerte nochmals 50 Jahre bis zur Ausmerzung der juristisch nicht einwandfreien Kompromisse. Das geschah anlässlich der Revision von 1992. Es kam erneut zu einem Referendum. Diesmal (nun waren auch die Frauen dabei) unterlagen die Gegner in der Volksabstimmung mit 73 Prozent deutlich.

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