Ich bin schwul! Und das ist eigentlich gut so. Mein Coming-out hatte ich mit 30 – vor rund 25 Jahren – also anfangs der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Etwa zur gleichen Zeit hat die Weltgesundheitsorganisation Homosexualität von der Liste der psychischen Erkrankungen gestrichen.
Als ich mich bei meinen Eltern outete, stellte meine Mutter mit ärgerlichem Unterton fest, man werde doch mit 30 nicht plötzlich schwul. Natürlich nicht! Dass ich «anders» war, müsste ihr eigentlich schon während meiner Kindheit aufgefallen sein. Und dass die sexuelle Orientierung nicht wie eine Ideologie – politische oder religiöse Einstellungen etwa – beliebig gewechselt werden kann, mussten meine Eltern damals noch lernen.
Die letzten 25 Jahre meines Lebens waren von zwei Eckpunkten geprägt: Job und Partnerschaft und die Engagements für meine Community. Die Erwartungen der Gesellschaft habe ich weitgehend erfüllt; verdiene meinen Lebensunterhalt selber, zahle Steuern und denke an meine Altersvorsorge. Lebe also doch eigentlich ein bürgerliches Leben – nahe an der Heteronormativität.
Meine Community – ob wir sie nun als «queer» oder sogar als «falschsexuell» bezeichnen – hat mir gezeigt, dass das Leben mehr als ‹Yin und Yang› ist. Das schwarze ‹Yin› steht dabei für «weiblich», das weisse ‹Yang› für «männlich». Sie stehen gemäss chinesischer Philosophie polar einander entgegengesetzt, sind aber dennoch aufeinander bezogene Kräfte. Was aber, wenn sich schwarz und weiss – Weiblichkeit und Männlichkeit – verwischen?
Wir Schwulen und Lesben haben seit jeher Männlichkeit und Weiblichkeit vermischt. Wir waren wohl gerade deshalb immer eine Gefahr für die bürgerliche Gesellschaft. Somit war in meinen Augen nebst der sexuellen Orientierung auch immer die Geschlechtsidentität unser Thema. Beides gehört zusammen:
Bei der Geschlechtsidentität geht es darum, wer du bist; bei der sexuellen Orientierung, wen du liebst.
Zur Vielfalt unter dem Regenbogen gehört also mehr als «Hauptsache homo»! Denn gerade weil sich die Grenzen zwischen Homo- und Heterosexualität, Weiblichkeit und Männlichkeit verwischen, müssen sich Trans*, Inter*, Lesben und Schwule dafür rechtfertigen, was für die Mehrheit «normal» ist. Und Bisexuelle und Pansexuelle sowieso …