Letzte Woche hat die deutsche Bundesregierung in ihrer Kabinettsitzung den von SPD-Justizminister Heiko Maas eingebrachten Gesetzentwurf zur Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern des Paragrafen 175 verabschiedet.
Der Paragraf 175 ist einer der grössten Schandflecke der Justizgeschichte: Nicht nur, weil er in seiner verschärften Form ein Überbleibsel der NS-Diktatur darstellte, sondern weil auch seine reformierte Fassung das höchste Gut unserer Zivilisation verletzte: die Menschenwürde. Menschen, die nach diesem Unrechtsparagrafen verurteilt wurden, wurde nicht nur im juristischen Sinne grosses Unrecht angetan. Ihre Würde wurde verletzt, da sie stigmatisiert, gesellschaftlich und beruflich ausgegrenzt und ihnen die Chancen genommen wurden, ihre individuellen Lebensentwürfe zu realisieren.
Zum Beschluss des Bundeskabinetts erklärt Helmut Metzner, Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes LSVD:
Endlich hat das Bundeskabinett den Weg frei gemacht für den lange versprochenen Gesetzentwurf zur Rehabilitierung und Entschädigung der verfolgten Homosexuellen. Der LSVD begrüsst, dass damit nach langen Jahrzehnten der Ignoranz endlich rechtspolitische Konsequenzen aus den schweren und massenhaften Menschenrechtsverletzungen gezogen werden, die auch vom demokratischen Staat an homosexuellen Menschen begangen wurden.
Der LSVD werde im weiteren Gesetzgebungsverfahren insbesondere darauf achten, dass bei der Aufhebung der Strafurteile wirklich alle früheren strafrechtlichen Ungleichbehandlungen von Homo- und Heterosexualität umfasst sind. Es wäre eine erneute Diskriminierung und unverantwortlich, wenn hier Lücken und damit Unklarheiten zu Lasten der oft hochbetagten Opfer bestehen blieben.
«Widernatürliche Veranlagung»
Die Nationalsozialisten hielten Homosexualität für eine «widernatürliche Veranlagung», für eine den so genannten «Volkskörper» schädigende «Seuche», die «auszurotten» sei. Schon kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde damit begonnen, die erste deutsche Homosexuellenbewegung vollständig zu zerschlagen: schwule und lesbische Lokale, Vereine, Verlage sowie Zeitschriften wurden verboten. Im Herbst 1934 setzte die systematische Verfolgung homosexueller Männer ein. Über 100’000 Männer wurden polizeilich erfasst und rund 50’000 nach den Paragrafen 175 und 175a verurteilt. Etwa 10’000 schwule Männer wurden in Konzentrationslager verschleppt. Die Mehrheit überlebte diese Qualen nicht.
Die Verfolgung von Homosexuellen wurde auch nach 1945 in Deutschland fortgesetzt. In der Bundesrepublik wurde bis 1969 die nationalsozialistische Fassung der Paragrafen 175, 175a weiter angewandt und zerstörte das Leben unzähliger Menschen. Allein über 50’000 Männer wurden wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilt. Sie kamen ins Gefängnis, sie verloren ihren Beruf – ihre gesamte bürgerliche Existenz wurde zerstört.