«Hirnlappen, der verkehrt läuft»

Aus Deutschland wird im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg von Gewalt gegenüber Schwulen, Lesben und trans* Menschen von fast 30 Prozent gemeldet. In der Schweiz wird auf eine solche Statistik verzichtet – Aufwand und Ertrag sei «ungünstig». Die Rechtskommission des Nationalrats will die Rassismus-Strafnorm um das Kriterium der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität erweitern. Und die gaySVP sieht deshalb die Meinungsfreiheit in Gefahr.

Gegenüber dem «Beobachter» bezeichnete im Juni 2014 Toni Bortoluzzi (damals SVP-Nationalrat) Schwule und Lesben als «Fehlgeleitete» mit «unnatürlichem Verhalten», gleichgeschlechtliche Paare hätten «einen Hirnlappen, der verkehrt läuft».

Diese ungeheuerliche Äusserung eines vom Volk gewählten Politikers löste einen Sturm der Entrüstung aus. Fabian Molina (damals Juso-Chef) bezeichnete Bortoluzzi als «Arschloch» und in Kommentaren war etwa zu lesen (die Schreibfehler lasse ich natürlich mit Absicht stehen):

Nur weil homo trendi zu sein scheint hat herr bortoluzzi noch lange nicht unrecht. im gegenteil. einer muss ja mal klartext reden.

Pink Cross reagierte äusserst kreativ und ernannte Toni Bortoluzzi mit ironischem Unterton zum Ehrenmitglied:

Der SVP-Mann hat auf originelle Art und Weise deutlich gemacht, wie stark ein Antidiskriminierungsgesetz für homosexuelle Menschen in der Schweiz fehlt.

Ein Jahr später – im Juli 2015 – hetzte in Deutschland während einem Kongress Vitus Huonder (noch heute Bischof von Chur) mit dem Zitat:

Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben.

Die Bibel lege hier die «göttliche Ordnung» dar – und würde «genügen, um die Frage der Homosexualität aus der Sicht des Glaubens die rechte Wende zu geben», kommentierte der Bischof den Bibelspruch.

Nach dieser doch mehr oder weniger offenen Forderung der Todesstrafe für Homosexuelle war für Pink Cross «fertig lustig» und verklagte den Bischof. Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. Die Aussage weise «für die Tatbestanderfüllung geforderte Eindringlichkeit und Eindeutigkeit» nicht auf. Und Pink Cross musste sogar die Verfahrenskosten übernehmen.

Die rechtliche Situation ist klar unbefriedigend und zeigt die absolute Notwendigkeit, dass öffentliche Aufrufe zu Hass gegen homosexuelle und trans* Menschen in der Schweiz endlich unter Strafe gestellt werden müssen.

Dieser Kampf gegen die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität ist in der Politik bereits seit März 2013 Thema. Damals reichte SP-Nationalrat Mathias Reynard die Parlamentarische Initiative ein, die die Erweiterung der Rassismus-Strafnorm im Strafgesetzbuch verlangt. Ein von der Kommission für Rechtsfragen vorgelegter Gesetzesentwurf liegt seit Juni 2017 vor, das entsprechende Vernehmlassungsverfahren dauert noch bis am 9. Oktober.

Allerdings sieht nun aber die gaySVP wegen dieser geplanten Erweiterung der Rassismus-Strafnorm die Meinungsfreiheit in Gefahr. In einer Medienmitteilung erklärte der Präsident der «Gruppe Gays» in der SVP:

Wer die freie Meinungsäusserung einschränken will, tritt für Unfreiheit ein, genau das wollen LGBTI-Personen nicht – sie wollen frei sein. … Die Antirassismus-Strafnorm wie auch die allfällige Erweiterung sind für mich nichts anderes als gefährlicher Gesinnungsterror.

Als Alternative zur gesetzliche Regelung schlägt Beat Feurer vor, sich doch «gegen unangenehme Äusserungen» mit «Weitsicht auseinanderzusetzen, ohne gleich die Polizei einzuschalten».

Gleichzeitig mit der Veröffentlichung der Medienmitteilung der gaySVP meldet in Deutschland das Bundesinnenministerium, dass in Deutschland immer mehr Straftaten gemeldet werden, die aus homo- und Transfeindlichkeit begangen werden. Demnach wurden zwischen Januar und Juli 2017 insgesamt 130 Straftaten «mit Nennung der sexuellen Orientierung gemeldet». Im Vorjahr seien im gleichen Zeitraum 102 derartige Straftaten gemeldet worden – was einem Anstieg von fast 30 Prozent entspricht.

Für die Schweiz gibt es diesbezüglich leider keine Zahlen, werden bei uns doch Straftaten gegen LGBT in der Statistik nicht erfasst – was eigentlich hätte ändern sollen. Vor zwei Jahren nämlich antwortete der Bundesrat auf eine Interpellation der BDP, dass er es als sinnvoll erachte, Hate Crimes gegen LGBT zu erfassen und die Daten zu veröffentlichen. Gemäss soeben veröffentlichten Recherchen von «Watson» hat der Bund offenbar stillschweigend auf die Einführung einer solchen Statistik verzichtet. Aufwand und Ertrag seien «ungünstig».

>Melde homo- und transphobe Angriffe auf 0800 133 133 oder lgbt-helpline.ch