Heute wäre Charlotte von Mahlsdorf 90 geworden

Charlotte von Mahlsdorf wurde als «Sohn» von Max und Gretchen Berfelde am 18. März 1928 in Berlin‐Mahlsdorf geboren. Schon als Kind interessierte sie sich vor allem für «alten Kram» und für Mädchenkleider.

1942 drängte Vater Max Charlotte zum Eintritt in die Hitler‐Jugend, sie wehrte sich heftig dagegen, heftiger Streit gehörte zur Tagesordnung, der 1944 eskalierte: Charlotte erschlug den verhassten Vater im Schlaf. Nachdem sie einige Wochen in der Psychiatrie verbrachte, wurde sie 1945 von einem Gericht als «asozialer Jugendlicher» zu vier Jahren Jugendgefängnis verurteilt.

Nach dem Ende der Herrschaft der Nationalsozialisten arbeitete Charlotte als Trödlerin und kleidete sich weiblicher. Sie nannte sich Lottchen, liebte Männer und wurde später zu Charlotte von Mahlsdorf.

Ab 1959 setzte sich Charlotte von Mahlsdorf für den Erhalt des vom Abriss bedrohten Gutshauses Mahlsdorf ein und erhielt das komplette Gebäude mietfrei überlassen. 1960 eröffnete sie in dem erst teilweise rekonstruierten Haus ihr Museum von Alltagsgegenständen der Gründerzeit – das Gründerzeitmuseum war geboren. 1972 wurde das Gutshaus unter Denkmalschutz gestellt. 1974 kündigten DDR‐Behörden an, das Museum verstaatlichen zu wollen. Dagegen wehrte sich Charlotte und begann als Protest ihren Besitz an die Besucher*innen zu verschenken. Diesen Kampf gegen die Staatsmacht gewann sie und durfte ab 1976 das Museum behalten.

Nach der Wende und dem Untergang der DDR 1989 schloss sich der Kreis für Charlotte von Mahlsdorf irgendwie: 1991 überfielen Neonazis eines ihrer Feste auf dem Gutshof und verletzten mehrere Teilnehmer*innen. Obschon sie 1992 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, fasste sie den Entschluss, Deutschland zu verlassen. 1995 führte sie das letzte Mal Besucher*innen durch das Gründerzeitmuseum und zog 1997 nach Schweden.

Am 30. April 2002 starb Charlotte von Mahlsdorf während eines Besuchs in Berlin an einem Herzinfarkt. Sie wurde auf dem Waldkirchhof Mahlsdorf direkt neben ihrer Mutter Gretchen beigesetzt.

Das Land Berlin kaufte das Gründerzeitmuseum. Es wurde 1997 vom Förderverein Gutshaus Mahlsdorf e.V. wiedereröffnet und umfassend saniert. Heute beherbergt es die umfangreichste und vollständigste Sammlung von Gegenständen der Gründerzeit.

Ich bin meine eigene Frau

1992 veröffentlichte Charlotte von Mahlsdorf das Buch «Ich bin meine eigene Frau». Parallel zum Buch startete der Film mit gleichem Namen von Rosa von Praunheim.

Am 30. Juni 1993 signierte mir Charlotte von Mahlsdorf nach einer Lesung im gerade eröffneten anderLand der HAB höchstpersönlich ein Exemplar ihres Buches. Ich verschlang es damals regelrecht – die Erzählungen dieser starken Person packten mich:

«Seit 1945 spaziere ich häufig im Kleid durch die Gegend. Sicher, in den Wintern ging ich in Hosen und langen Mänteln, aber wenn die Witterung es zuliess, trug ich Kleider.»

«In solch mädchenhaftem Aufzug lief ich natürlich Gefahr unsanft von Russen angegangen zu werden. Doch ich hatte Glück: Als mich eines Tages einige Soldaten überwältigt und mein Kleid schon hochgestreift hatten, aber dann doch nicht das fanden, was sie suchten, brachen sie in schallendes Gelächter aus. Einer gab mir einen Klaps auf das Hinterteil, und das war alles – es hätte schlimmer kommen können!»

«Von seiten der Mahlsdorfer, die mich von Kindesbeinen an kannten, erntete ich wohlwollendes Achselzucken: Na, ist ja ulkig, der läuft eigentlich nur mit Männern durch die Gegend, nie mit Frauen, trägt so altmodische Kleider, ob der wohl schwul ist? Das war alles.»

Eine Strasse für Charlotte

Eigentlich hat die Bezirksverordnetenversammlung Mahrzahn-Hellersdorf den Beschluss bereits vor sechs Jahren gefällt. Am vergangenen Samstag war es endlich soweit: Schräg gegenüber des Gründerzeitmuseums wurde der Charlotte-von-Mahlsdorf-Ring eingeweiht. Und im Rahmen der Einweihung zeigte Carmen Bärwald ihren Dokumentarfilm «Sonntagskind. Erinnerungen an Charlotte von Mahlsdorf». Ein Kritiker schreibt zum Film:

«Die Schöpfer meinen zu Recht, Charlotte werde der Nachwelt als Integrationsperson für Lesben und Schwule in Erinnerung bleiben.»

Heute – da bin ich überzeugt – wäre Charlotte eine überzeugte trans Aktivistin. Trotzdem, oder wohl gerade deshalb, ihr Lebensweg gesäumt war von Gewalt, Demütigung und Ausgrenzung, blieb sie ihrem Motto immer treu: «Man muss für seine Überzeugung kämpfen».