Unser «Mimimi» kann nicht laut genug sein!

Es gibt Momente, da möchte ich schreien! Schreien vor Wut und auch vor Ohnmacht … Warum habe ich eigentlich die gleichen Pflichten, aber nicht die gleichen Rechte wie meine heterosexuellen Mitmenschen?

  • EDU und JSVP wollen uns weiter diskriminieren dürfen. Die nötigen Unterschriften dafür haben sie gesammelt. Über die Erweiterung der Rassismus-Strafnorm mit dem Kriterium «sexuelle Orientierung» werden wir an der Urne abstimmen müssen.
  • Nach einem Bundesgerichtsentscheid müssen wir nochmals über die Ehe-Initiative abstimmen. Damit bekommt die CVP eine zweite Chance, die Ehe in der Bundesverfassung als eine Verbindung von Mann und Frau festzuschreiben.
  • Ob die Zivilehe – mit allen Rechten und ohne Kompromisse – künftig auch von gleichgeschlechtlichen Paaren geschlossen werden darf, ist umstritten. Die Vernehmlassung läuft gerade.

Am letzten Sonntag thematisierte der «SonntagsBlick» den Hass auf uns gleichgeschlechtlich Liebenden. Als auf Blick.ch über die Einführung der Todesstrafe für Homosexuelle in Brunei und über den «Heiratsantrag» von Sven Epiney im Schweizer Fernsehen berichtet wurde, schrieben die Leser*innen sofort Kommentare. «Es waren viele Kommentare» schrieb der «SonntagsBlick» – und «viele davon mussten deaktiviert werden»: «Weil sie vor Schwulenfeindlichkeit strotzten. Weil ihre Sprache krud und schamlos war. Weil sie häufig ins Obszöne kippten.» 65 Prozent der Kommentare habe die Redaktion löschen müssen. Zum Vergleich: Von allen Kommentaren im März wurden 34 Prozent gelöscht.

Als Reaktion auf die drei Doppelseiten im «SonntagsBlick» schrieb D. aus dem W. auf Facebook: «Das ‹Mimimi› von Schwulen regt mich langsam immer mehr auf!». Er habe sich vor 28 Jahren geoutet und lebe heute «noch immer in einträglicher Harmonie in unserer Gesellschaft». Er polarisiere und provoziere auch nicht. «Aber ist das denn auch immer nötig?», fragt er und stellt fest, dass man «einmal mit dem Erreichten zufrieden sein» sollte.

Sorry, lieber D., aber ich lebe im Jahr 2019. Und es stinkt mir gewaltig, dass die Gesellschaft beispielsweise bei der Zivilehe noch immer zwischen einer Gesetzgebung für Heterosexuelle und für Homosexuelle unterscheidet. Auch ärgere ich mich darüber, dass – nicht nur kirchliche Kreise – der Meinung sind, Homosexualität sei eine Modeerscheinung und sei selbstgewählt wie beispielsweise eine Religion. Und auch ich gehe ziemlich «stinknormal» durch mein Leben. Trotzdem fühle ich mich von der heteronormativen Mehrheit nicht als gleichwertig behandelt.

Ist es zu viel verlangt, für gleiche Pflichten gleiche Rechte zu erhalten?

Es braucht auch weiterhin eine starke queere Bewegung. Denn was wir in den letzten Jahren erreicht haben, ist auch wieder umkehrbar – wie der Blick in die Geschichtsbücher beweist: Vor dem Ersten oder dem Zweiten Weltkrieg war die Gesellschaft im Umgang mit Homosexualität sehr weit entwickelt; doch innert kürzester Zeit sind populistische Ideen entstanden, die diese Entwicklung unsanft zunichte machten. Entsprechend kann unser «Mimimi» nicht laut genug sein!