Was für ein schreckliches und faszinierendes Buch habe ich da gerade gelesen! Der Roman «Weil wir hier sind» von Jan Stressenreuter beschreibt eine düstere Welt. Die Kräfte des Populismus und Fundamentalismus haben gesiegt. Die Akzeptanz alternativer Lebensentwürfe ist nur noch eine blasse Erinnerung.
Das Zeitalter der Demokratie neigt sich dem Ende zu. Drei Diktaturen haben die Welt unter sich aufgeteilt: Das Pan-Arabische Kalifat, die Russische Patriotische Föderation und die Republik Elysium. Als Angehörige der sexuellen Minderheit dem «Verschwinden» anheimfallen, einer seltsamen körperlichen Veränderung, sind sie willkürlicher Verfolgung hilflos ausgesetzt.
Schweigend passierten sie den Grenzstreifen im Schritttempo, eine kahle, unwirtliche Landschaft ohne Leben. Niemandsland. Um sie herum waren nur Sand, Steine und ein paar kümmerliche Büsche, die dem heissen Klima zu trotzen versuchten. Überall lagen Stahlgitter und Metallplatten halb verborgen im Sand: Ruinen der Mauer, die ein früherer Präsident hatte bauen lassen, um Flüchtlinge aus dem Süden fernzuhalten.
Mit einigen anderen kann sich Luis auf eine abgelegene Insel retten, wo sie ein Leben im Verborgenen führen.
Sie werden kommen aus dem Westen, aus Gottes eigenem Land, mit Bibeln in den Fäusten und Hass in den Herzen, die Mägen gebläht vor Selbstgefälligkeit, die Blicke brennend vor Sendungsbewusstsein, auf den Lippen die Botschaft vom Armageddon.
Die Gegenwart holt mich jedoch rasch ein. Auf der Website jesus.ch lese ich eine Stellungnahme zur Vernehmlassung zur Öffnung der Zivileehe für gleichgeschlechtliche Paare: «In den grossen Weltreligionen wird die Ehe zwischen Mann und Frau nicht als ein gesellschaftliches Konstrukt beschrieben, sondern als etwas, das der Schöpfer den Menschen als Geschenk gibt». Bei diesem Satz wandern meine Gedanken zurück zum eben gelesen Buch. Auch hier waren sich die Religionen beim Hass gegen sexuelle Minderheiten einig. «Die Gesellschaft entsteht aus der Urzelle der Ehe».
Jan Stressenreuter erlebt die Veröffentlichung seines Buches «Weil wir hier sind» nicht mehr. Er stirbt so abrupt wie sein Buch endet. Er verschwindet grad so wie die beschriebenen Menschen in seinem Buch.
Sie werden kommen, im Namen der Scheinheiligkeit und unter dem Deckmantel von Sitte und Anstand. Sie werden behaupten, dass unsere Art zu leben widernatürlich ist, dass wir Abschaum des Universums sind, ein Irrtum der Natur, Träger tödlicher Krankheiten.
Sie sind schon hier.