«Bis jetzt sagen uns einfach das Bauchgefühl und die Erfahrungswerte der Polizei, dass es mehr Übergriffe gibt, aber Zahlen hat niemand»

Wichtig sei, da ist sich die Sicherheitsvorsteherin der Stadt Zürich sicher, dass diese Übergriffe auch als LGBTI-feindliche Straftaten erfasst werden. Deshalb will die Stadt Zürich die Zahl der homophoben Attacken in einer Statistik erfassbar machen. Das will der Regierungsrat im Kanton Bern nicht, der will lieber «abwarte und Tee trinke».

In der heutigen Ausgabe schreibt die NZZ: «Händchenhalten ist für homosexuelle Paare wieder gefährlich geworden». Das zeige die mehreren gewalttätigen Übergriffe in den letzten Monaten in der Stadt Zürich. Die Zeitung hat deshalb die Zürcher Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart zum Interview geladen.

Zürich tue viel für Homosexuelle, ist sich die grüne Stadträtin sicher: «Der Stadtrat hat gerade eben entschieden, dass während der ‹Zurich Pride› Regenbogenflaggen auch an den Amtshäusern aufgehängt werden dürfen». Toll, denke ich! Und die Übergriffe «machen uns Sorgen, sie sind im Stadtrat ein Thema», ergänzt die Interviewte. Auch die Polizei vermute einen Anstieg solcher Delikte.

Die NZZ hackt nach – die LGBT-Community fühle sich aber von der Politik und der Polizei im Stich gelassen. Dass es in der Community brodle, könne die Sicherheitsvorsteherin nachvollziehen: «Im Niederdorf, wo es zuletzt zu mehreren Übergriffen kam, ist die Polizei jetzt öfter vor Ort». Die Polizist*innen patrouillieren vermehrt zu Fuss und nicht nur im Auto. So seien sie leichter ansprechbar und auch besser sichtbar. «Daneben läuft schon seit dem letzten Juni ein Projekt – es ist übrigens ein Schwerpunkt in meinem Departement – mit dem Namen ‹Polizeipräsenz in der Grossstadt›.» Polizist*innen sollen auf der Strasse besser sichtbar und ansprechbar werden, denn es sei wichtig, dass die Bevölkerung mit ihnen in Kontakt treten könne.

Ob es nebst der Polizeipräsenz noch weitere Massnahmen brauche? «Natürlich», da ist sich Sicherheitsvorsteherin Rykart sicher: «Wir können das Problem, dass Schwule angefeindet und auch körperlich angegriffen werden, nicht mit einer einzelnen Massnahme lösen». So habe sie zusammen mit der Stadtpräsidentin im Dezember ein Projekt mit dem Namen «Sexuelle und sexistische Belästigung im öffentlichen Raum und Nachtleben» gestartet. Da gehe es um Gewalt im öffentlichen Raum gegen Frauen, aber eben auch gegen LGBT-Leute. «In der Arbeitsgruppe werden verschiedene Massnahmen erarbeitet, wie diese Gewalt vermindert werden kann.»

Und warum ist homophobe Gewalt in «gewissen Kreisen» wieder salonfähig geworden? Das sei nicht einfach zu beantworten, meint Karin Rykart in der NZZ: «Es ist ein gesellschaftliches Problem, das merkt man ja schon, wenn man Kindern auf dem Schulhausplatz zuhört». Schwulenfeindlichkeit sei weit verbreitet und werde in die nächste Generation weitergegeben.

Ob der neue Hass auf Homosexuelle mit der Zuwanderung aus machoiden Kulturen zu tun habe? «Die Homophobie allein mit dem Migrationshintergrund zu erklären, ist mir zu einfach», antwortet darauf die Sicherheitsvorsteherin der NZZ. «Bei den Straftaten liegt der Ausländeranteil zwar höher als der Anteil an der Gesamtbevölkerung. Ausländer sind aber nicht per se schwulenfeindlicher als Schweizer. Da spielen verschiedene andere Komponenten eine Rolle – etwa das Geschlecht, der soziale Status, Armut, Suchterkrankungen.» Es sei darum wichtig, dass man mit der Prävention schon in den Schulen anfange und alle Gruppen abhole. «Die Nationalität ist nicht der Grund dafür, dass jemand Schwule verprügelt.»

Die Sache mit der Statistik

Wichtig sei, da ist sich Karin Rykart sicher, dass diese Übergriffe auch als LGBTI-feindliche Straftaten erfasst werden. «Bis jetzt sagen uns einfach das Bauchgefühl und die Erfahrungswerte der Polizei, dass es mehr Übergriffe gibt, aber Zahlen hat niemand.» So will die Stadt Zürich nach einem Vorstoss im Gemeinderat die Zahl der homophoben Attacken in einer Statistik erfassbar machen.

In Bern kämpft Grossrätin Barbara Stucki mit ihrer Motion «LGBTI-feindliche Gewalt statistisch erfassen» für eine gesetzliche Grundlagen, damit Aggressionen mit LGBTI-feindlichem Charakter im Kanton Bern statistisch erfasst werden. Doch die Berner Regierung lehnt den Vorstoss ab und versteckt sich hinter den «Hürden von Daten- und Persönlichkeitsschutz» und will zudem «die Ergebnisse und mögliche Umsetzungsvorschläge auf nationaler Ebene» abwarten. So wie ich Barbara Stucki kenne und schätze, wird sie sicher nicht «abwarte und Tee trinke», sondern um ihren Vorstoss kämpfen. Voraussichtlich am 11. März wird der Grosse Rat über die Motion diskutieren. Diese Debatte im Berner Rathaus ist öffentlich und Barbara wird sich garantiert über Unterstützung von der Tribüne aus freuen – damit sie nicht die einzige queere Person im Rathaus ist!

Bereits einen Tag früher – am 10. März – wird voraussichtlich der Ständerat die Motion «Statistische Erfassung von ‹hate crimes› aufgrund von sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, Geschlechtsausdruck oder Geschlechtsmerkmalen» behandeln. Bereits im vergangenen Jahr hat der Nationalrat und kürzlich auch die die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Ständerates (WBK‑S) der Vorlage zugestimmt. Bleibt nur zu hoffen, dass die im Jahr 2017 von Rosmarie Quadranti (BDP) eingebrachte Motion im Ständerat eine Mehrheit findet und anschliessend zügig und wirkungsvoll umgesetzt wird.