Ein Coming-out macht Schlagzeilen

Ein Coming-out im «Tagi-Magi»

Eigentlich habe ich nicht viele Berührungspunkte zum Schwingen. Auf der Laube unseres Chalets im Diemtigtal hissen wir jeweils während den Ferien statt der roten Fahne mit dem weissen Kreuz die Regenbogenfahne. Und da wurde ich mal gefragt, ob das die «Schw…Schw…Schw…fahne» sei? Ich antwortete: «Ja, das ist die Schwingerfahne!». Und tatsächlich: Seit gestern ist unsere Regenbogenfahne auch eine Schwingerfahne.

Das mediale Grossereignis wurde offenbar von Curdin Orlik sorgfältig vorbereitet. Verbreiten durfte seine Geschichte Christof Gertsch im «Tagi-Magi». Auf Facebook schreibt der Journalist: «Ich bin wahnsinnig beeindruckt von Curdin Orliks Mut». Und ich schreibe auf der Facebook-Seite von hab queer bern: «Auch 2020 macht ein Coming-out noch Schlagzeilen!» und like sofort Curdin Orlik auf Facebook. Und hier lese ich nur positive Reaktionen. «Bravo Curdin! Lebe und liebe dein Leben genau so wie du es fühlst!»

Nur vereinzelt tauchen Kommentare auf, die von «normal ist es trotzdem nicht» und «Sexualität ist rein privat» schwafeln. Hannes Rudolph, Psychologe und Aktivist, bringt es im Artikel über Curdin Orlik auf den Punkt: «Warum müssen Menschen, die jemanden des gleichen Geschlechts lieben, solche Ängste ausstehen? Es ist unsere Gesellschaft, die sexuelle Orientierung überhaupt erst zum Problem macht.» Und so – davon bin überzeugt – ist und bleibt ein Coming-out immer auch irgendwie ein politisches Signal. 2020 macht ein Coming-out nicht nur noch immer Schlagzeilen. 2020 sind unsere gleichen Rechte auf der politischen Bühne noch immer Thema. So müssen wir uns fragen, ob das Parlament in eine paar Tagen die Ehe tatsächlich auch für uns öffnet oder wir uns schon wieder mit einem «Häppchen Rechte» zufriedengeben müssen. Verheiratete Frauenpaare dürfen nicht von der Samenspende ausgeschlossen werden.

Das Coming-out von Curdin Orlik hat also tatsächlich Signalwirkung, wie Pink Cross in einer Medienmitteilung schreibt. «Uns findet man überall – und richtig gut sind wir dann, wenn wir zu uns stehen können und akzeptiert werden.»

Wer Hilfe beim Coming-out braucht, findet in der Region Bern Unterstützung bei hab queer bern. Nebst der persönlichen Beratung via Mail oder Telefon (auch für ältere Personen) bietet der Verein auch verschiedene Gesprächsgruppen (etwa die Gruppe «Schwule Väter») und Treffpunkte in geschützten Räumen an.