Ich der «Stubenhocker» – der Superheld!

Seit gefühlten Monaten sitze ich zuhause. Dies hat zwei Gründe: An meinem Arbeitsplatz ist uns die Arbeit ausgegangen und ich arbeite deshalb «kurz» und der Bundesrat hat mir das so empfohlen. Die Schweiz brauche mich, ich soll zuhause bleiben und so Leben retten, verspricht die «Werbung» des Bundesamtes für Gesundheit. Ich, der Superheld, der täglich Leben rettet!

Als Superheld sind meine Wege bedeutend kürzer geworden: Schlafzimmer, Kaffeemaschine, Schreibtisch, Kühlschrank, Toilette, Kühlschrank, Couch vor dem Fernseher, Schreibtisch … Und alle drei Tage Lebensmittel einkaufen – gestresst und dabei peinlich genau darauf achtend Abstand zu halten – ich Superheld mit dem wohlklingenden Namen «Stubenhocker».

Meine sozialen Kontakte finden online statt. Und mit Plauderrunden via Skype halten wir auch bei hab queer bern Kontakt untereinander. So bin ich stolz, dass in der Agenda vom schwulen Lifestyle-Magazin «Display» von sechs aufgeführten Events fünf von mir organsiert wurden. Im hohen Alter mutiere ich der «Stinknormale» noch zum Partyveranstalter! Ich höre Engel singen: «Ein Superheld!».

Ich habe wohl zu viel Desinfektionsmittel geschnüffelt!

Als «stinknormaler» Blogger spürte ich gestern endlich wieder ein bisschen Normalität. Der Bundesrat hat tatsächlich etwas Zeit gefunden, um festzulegen, dass die Erweiterung der Rassismus-Strafnorm am 1. Juli in Kraft tritt. Es ist erst zwei Monate her, als wir oben auf der Grossen Schanze mit Blick auf die Stadt Bern runter dichtgedrängt und Regenbogenfähnchen schwenkend den gewonnenen Abstimmungskampf feierten. Endlich schützt somit das Schweizer Strafrecht Menschen, die in der Öffentlichkeit herabgesetzt werden, nicht nur aufgrund ihrer Rasse, Ethnie oder Religion, sondern auch aufgrund der sexuellen Orientierung.

Und damit nimmt dieser Blogeintrag eine ernsthafte Wendung hin zur Seriosität, der ich mich als Queer*Aktivist verpflichtet habe.

Die Lage in den USA ist wohl zurzeit derart verzweifelt, dass nun auch das Spenderblut von Schwulen erwünscht ist. Wegen dem Coronavirus werden Blutkonserven knapp. Daher erleichtern die zuständigen Behörden die Spenderegeln für schwule und bisexuelle Männern. Männer dürfen künftig Blut spenden, wenn sie in den letzten drei Monaten keinen gleichgeschlechtlichen Sex gehabt haben. Bislang galt – wie in der Schweiz noch immer – eine Karenzzeit von zwölf Monaten.

Ausgerechnet am «Transgender Day of Visibility» vom 31. März hat die ungarische Regierung im Parlament ein Gesetzespaket eingebracht, das höchst menschenfeindlich ist. So ist beabsichtigt, in amtlichen Dokumenten zukünftig statt des Geschlechts das «Geschlecht bei der Geburt» aufzuführen, welches als «das biologische Geschlecht» definiert und anhand «primärer geschlechtlicher Merkmale und Chromosomen» bestimmt wurde. Damit würde es künftig in Ungarn nicht mehr möglich sein, das rechtliche Geschlecht – und den Vornamen – zu ändern. Die Europäische Union müsse gegen die Diskriminierung von trans Menschen in Ungarn vorgehen, fordert die deutsche SPDqueer. «Das geplante Vorhaben zum Verbot der legalen Anerkennung des eigenen Geschlechts verstösst gegen Menschenrechte von trans* Personen und bedeuten einen enormen Rückschritt für Menschenrechte in Ungarn», schreibt die SPDqueer in einer Medienmitteilung unmissverständlich.

Ungarn liegt mitten in Europa und die Hauptstadt Budapest ist rund 1000 Kilometer von Bern entfernt. Bedeutend weiter weg – und sogar auf einem anderen Kontinent – ist Uganda. Und in der ugandischen Hauptstadt Kampala stürmte vor einer Woche die Polizei ein queeres Obdachlosenheim. Also offizielle Massnahme gegen das Coronavirus wurden 23 Personen in Gewahrsam genommen. Den Festgenommen wird eine «fahrlässige Handlung vorgeworfen, die eine Infektion mit Krankheiten verbreiten kann». Für Aktivisten in Uganda wurde das Coronavirus nur als Durchsuchungsgrund vorgeschoben. Tatsächlich habe die Polizei aber nach «Beweisen für Homosexualität» gesucht. In Uganda kann Homosexualität mit lebenslanger Haft bestraft werden.

Schuld daran, dass unsere Welt vom Coronavirus heimgesucht wird, sind natürlich wir – wie so oft bei Naturkatastrophen oder anderen negativen Ereignissen. Chef der «White House Bible Study Group» ist der evangelikale Pfarrer Ralph Drollinger, der überzeugt ist, dass Gott das Coronavirus geschickt hat, weil er sauer auf Menschen ist, die «verdorbene Gedanken» oder eine «Neigung zur Homosexualität» hätten. Aber auch bei anderen Religionen sind «wir» schuld an der Verbreitung des Virus. So ist für den irakischen und einflussreichen Geistlichen Muktada al-Sadr die gleichgeschlechtliche Ehe einer der Gründe, warum sich das Coronavirus verbreitet. «Ich rufe deshalb alle Regierungen dazu auf, diese Gesetze unmittelbar und ohne Zögern aufzuheben», schrieb der schiitische Geistliche auf Twitter.

Eine ähnliche Äusserung machte in den letzten Tagen Filaret Denyssenko, Bischof und Ehrenpatriarch der orthodoxen Kirche in der Ukraine. Er behauptete in einem Interview: «Die Menschen verteidigen nicht das Gute, sondern das Böse. Sie schützen es nicht nur, sondern sie verbreiten es. Ich meine vor allem die gleichgeschlechtliche Ehe!». Auf die Frage, wie er sich selbst vor dem Virus schütze, antwortete er ernsthaft: «Ich glaube, dass der Herr mich beschützen wird, er wird mir nicht erlauben, krank zu werden, weil ich der Kirche dienen muss».

Nicht lustig!

Auch nicht besonders lustig ist der Aprilscherz von RTL-Bachelor Sebastian Preuss. Pünktlich zum 1. April outete er sich auf Instagram als schwul. Ein schlechter Scherz! Noch immer trauen sich viele queere Menschen nicht, sich zu outen. Solche Scherze sind nicht nur geschmacklos, sie sind sogar schädlich. Denken wir an die queeren Menschen, die in dieser schwierigen Zeit zuhause bleiben müssen, ein Ort, der nicht immer ein «Safe Space» ist.