Ein politisches Manöver und der Gipfel der Spitzfindigkeit

Am nächsten Dienstag wird der Ständerat über die «Ehe für alle» debattieren und hoffentlich der Öffnung der Zivilehe für gleichgeschlechtliche Paare zustimmen – unkompliziert und weltoffen – ohne Verfassungsänderung und ohne Kompromisse.

Die politischen Mühlen mahlen in der Schweiz langsam. Nach endlosen Diskussionen waren sich die Politiker*innen aber eigentlich einig: Die Zivilehe lässt sich ohne Volksabstimmung auf parlamentarischem Weg und ohne Volksabstimmung öffnen. Immerhin steht in unserer Verfassung im Artikel 14: «Das Recht auf Ehe und Familie ist gewährleistet» und zwar steht das seit 1999 so da.

Doch dann tauchte ein «Geheimgutachten» auf, das die Gegner der «Ehe für alle» erst gestern öffentlich machten und von der NZZ veröffentlicht wurde. Ich habe die 31 Seiten überflogen – und mir kommt dabei nur ein Wort in den Sinn: «Spitzfindigkeit». Da steht gegen Schluss des Dokuments als Fazit: «Die derzeitige verfassungsrechtliche Verankerung der Ehe als Institutsgarantie in Art. 14 BV basiert auf einem traditionellen Begriffsverständnis der Ehe und ist vom historischen Verfassungsgeber so gewollt». Das «normative Umfeld» habe sich nicht derart geändert und ein «Wertewandel» habe ebenfalls nicht so stattgefunden, dass der «Gesetzgeber befugt wäre, sich über diesen historischen Willen des Verfassungsgebers hinwegzusetzen …».

Ist «heute» noch «heute» wie vor 21 Jahren?

Die NZZ hat die Mitverfasserin des «Geheimgutachten», die Juristin Isabelle Häner, befragt. Damals – 1999 bei der Totalrevision der Bundesverfassung – schrieb der Bundesrat, dass die Ehe «heute» als Gemeinschaft von Mann und Frau zu verstehen sei. Das ist 21 Jahre her … und darauf antwortet die Juristin: «Die Frage ist: Ist jetzt nicht mehr ‹heute›? Ich sage, ‹heute› gilt noch».

Klar, dachte man 1999 nur an die heterosexuelle Ehe. Noch 1977 bezeichnete die Weltgesundheitsorganisation WHO Homosexualität als eine Krankheit. 1984 strich die WHO den Begriff Homosexualität aus ihrer Liste von Seuchen, Krankheiten und Epidemien. Die 43. Weltgesundheitsversammlung bekräftigte diese Entscheidung im Mai 1990 und wurde am 1. Januar 1993 umgesetzt. «Die langjährige Verzögerung hatte ihren Grund in den ideologisch, politisch, religiös oder einfach ‹kulturell› begründeten Einwänden und Bedenken gewisser Staaten», lese ich auf schwulengeschichte.ch. «Dazu gesellte sich der Vatikan mit eifriger Diplomatie hinter den Kulissen, wie stets, wenn es sich um die Verhinderung von irgendeiner Form der Anerkennung oder Normalisierung homosexueller Verhaltensweisen geht.»

Grosser Wertewandel in der Gesellschaft

Für das Komitee «Ehe für alle» ist klar: Die Argumentation der Gegner der «Ehe für alle» ist juristisch schwach: «Denn entgegen der Behauptung im Gutachten hat in den letzten 20 Jahren in der Gesellschaft ein grosser Wertewandel zu Gunsten der Ehe für alle stattgefunden». Das Komitee ruft deshalb den Ständerat auf, sich bei ihrer Entscheidung am nächsten Dienstag «nicht von einer konservativen Minderheit irreführen zu lassen». Immerhin haben mit Ausnahme von Italien und der Schweiz alle westeuropäischen Länder die «Ehe für alle» eingeführt.

Zum «Geheimgutachten» der konservativen Gegner schreibt das Komitee in einer Medienmitteilung: «Das juristische Gutachten berücksichtigt nur einseitig die historische Auslegung der Verfassung. Andere, gleichwertige Methoden der Verfassungsauslegung werden ausser Acht gelassen. Damit ist das Gefälligkeitsgutachten unvollständig und die Aussage falsch, dass der gesellschaftliche Wandel verfassungsrechtlich nicht relevant sei. Er ist die Grundlage der geltungszeitlichen Auslegungsmethode. Und er hat stattgefunden: 82 Prozent der Bevölkerung unterstützen heute die ‹Ehe für alle›.» Und der Rechtsprofessor Andreas Ziegler ordnet ein: «Eine korrekte, umfassende Auslegung der Bundesverfassung erlaubt problemlos, dass die ‹Ehe für alle› ohne Verfassungsänderung eingeführt werden kann». Der Umweg über eine Verfassungsänderung sei ein rein politisches Manöver, für das er «keine juristisch nachvollziehbaren Gründe» ausmachen könne.

Für Salome Zimmermann, Präsidentin des Komitees «Ehe für alle», ist klar: Eine Verfassungsänderung bedeutet, dass wir nochmals jahrelang auf die «Ehe für alle» warten müssten. «Damit werden Hunderttausende gleichgeschlechtlicher Paare ihrer Grundrechte beraubt und Tausende Kinder in Regenbogenfamilien bleiben rechtlich schlecht abgesichert. Das ist verantwortungslos.»