Mehr Sichtbarkeit – weniger Sicherheit

Die LGBT-Dachverbände verzeichnen 50 Prozent mehr Meldungen von LGBTQ-feindlichen Hate Crimes im Jahr 2021

Zum heutigen IDAHOBIT, dem Internationalen Tag gegen Feindlichkeit gegenüber queeren Menschen, veröffentlichen die Lesbenorganisation Schweiz (LOS), Transgender Network Switzerland (TGNS) und Pink Cross den neusten Hate Crime Bericht. Er zeigt: Die Abstimmung über die «Ehe für alle» brachte insbesondere lesbischen, bisexuellen und schwulen Personen mehr Sichtbarkeit, aber nicht mehr Sicherheit für die queere Community. 

Im Jahr 2021 verzeichnete die LGBT+ Helpline 92 Meldungen von LGBTQ-feindlichen Hate Crimes – 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Insbesondere die Zahl an transfeindlichen Übergriffen ist gegenüber den Vorjahren stark gestiegen. Und doch bildet der Hate Crime Bericht nur die Spitze des Eisbergs ab: Die Forderung der LGBT-Dachverbände nach einer nationalen Erfassung ist aktueller denn je.

Seit 2016 können LGBTQ-feindliche Hate Crimes bei der «LGBT+ Helpline» gemeldet werden. Diese Meldestelle verfolgt das Ziel, die Situation in der Schweiz sicht- und messbar zu machen – denn offizielle Erhebungen fehlen grösstenteils noch immer. Seit 2021 werden Übergriffe in der Stadt Zürich und im Kanton Freiburg regional staatlich erfasst. Ein Vergleich mit den Daten der LGBT+ Helpline zeigt, so Roman Heggli, Geschäftsleiter von Pink Cross: «Noch immer ist die Dunkelziffer enorm hoch, nicht nur an Orten, wo die Community stärker sichtbar ist, wie etwa der Stadt Zürich, sondern auch auf dem Land. Repräsentative Daten kann einzig ein nationales Meldeverfahren gewährleisten – ein politisches Anliegen, das die LGBT-Dachverbände seit Jahren verfolgen.»

Fast zwei Hate Crimes pro Woche: Auch für das Jahr 2021 beobachten die LGBT-Dachorganisationen eine steigende Tendenz von LGBTQ-feindlichen Hate Crimes. Von den insgesamt 92 gemeldeten Fällen gehen fast die Hälfte auf die vier Monate der Abstimmungskampagne für die «Ehe für alle» zurück. Betroffen waren hier auch heterosexuelle Verbündete, die sich für ein Ja einsetzten. Besonders auffallend ist zudem die Zunahme der Meldungen von trans Personen (32 Prozent, davon 14 Prozent nicht binäre Personen). 45 Prozent aller Betroffenen haben angegeben, aufgrund des Geschlechtsausdrucks diskriminiert worden zu sein. Viele Meldungen kommen zudem von jungen Menschen: So ist 2021 eine auffällige Häufung von Meldungen von Personen unter 22 Jahren zu verzeichnen.

Über die Hälfte der Meldenden gaben an, psychische Folgen vom Vorfall davongetragen zu haben. Ihre Erfahrungen haben einschüchternde Effekte auf die gesamte Community, wie Alessandra Widmer, Co-Geschäftsleiterin der LOS, erläutert: «Viele LGBTQ-Menschen fürchten sich vor Übergriffen im öffentlichen Raum.» Die gemeldeten Übergriffe fanden vorwiegend in der Öffentlichkeit statt. Die Zivilgesellschaft schaute dabei meistens weg. Die wenigsten gemeldeten Hate Crimes wurden angezeigt und nur knapp 20 Prozent wurden der Polizei gemeldet. «Die Community sollte auf professionelle, vertrauensvolle Angebote, Institutionen und auf sensibilisierte und geschulte Ansprechpersonen vertrauen dürfen – das ist aktuell nicht der Fall», sagt Widmer.

Alecs Recher, der die Rechtsberatung von TGNS leitet, zieht Bilanz: «Die LGBT-Dachverbände sehen darum auch am diesjährigen IDAHOBIT (Internationaler Tag gegen Homo‑, Bi‑, Inter- und Transfeindlichkeit) grossen politischen und gesellschaftlichen Handlungsbedarf, damit LGBTQ-Personen in der Schweiz endlich sicherer und selbstbestimmter leben können. Wir fordern das nationale Parlament dringend auf, das Postulat für einen nationalen Aktionsplan gegen LGBTQ-Feindlichkeit in der kommenden Sommersession zu behandeln und anzunehmen. Spezifisch zu Transfeindlichkeit braucht es eine vertiefte Untersuchung durch den Bund, damit wirksame Handlungsmassnahmen getroffen werden können.» Zusätzlich rufen die LGBT-Dachverbände die Bevölkerung zu mehr Zivilcourage auf, wenn sie LGBTQ-feindliches Verhalten beobachten.

> Download Hate Crime Bericht 2022


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