Mein Wort zum Sonntag: Halten wir den Zeigefinger drauf!

Vor einer Woche habe ich in meiner sonntäglichen Kolumne SVP-Bundesratsanwärter Hans-Ueli Vogt zitiert: «Wenn wir immer im Kopf behalten müssen, dass die Zweiheit der Geschlechter für jemanden abwertend sein könnte, sind wir nicht mehr frei im Sprechen und Denken». Mein formulierter Wunsch vor einer Woche: «Ich hätte mir eine andere politische Vertretung unserer Community im Bundesrat gewünscht». Und das wiederum hat auf Facebook einige Reaktionen ausgelöst.

So schreibt etwa Peter: «Veränderungen erzielt man nicht, indem man die eigene Klientel ins Boot holt, sondern wenn man Andersdenkende überzeugen kann». Da alle grossen Parteien in der Regierung vertreten sein sollten, würde – das ist sich Peter sicher – Hans-Ueli Vogt der Schweiz guttun, notabene vor allem der SVP.

Klar, sollte auch die SVP im Parlament vertreten sein. Allerdings sind abwertende Haltungen von gewählten Vertreter*innen in unseren Parlament gegenüber geschlechtlichen oder sexuellen Minderheiten brandgefährlich. Das hat sogar der SonntagsBlick vor einer Woche festgestellt: «SVP-Bundesrat Ueli Maurer und gewaltbereite Neonazis treibt das gleiche Thema um: Die Vielfalt der Geschlechter».

Zwei Wochen nach der «Es»-Bemerkung von SVP-Bundesrat Ueli Maurer bei seiner Rücktrittsankündigung stürmen vermummte Rechtsextreme mit der Parole «Familie statt Gender-Ideologie» eine Vorlesestunde von Dragqueens für Kinder in Zürich. Damit haben in den letzten Wochen die Debatten um sexuelle und geschlechtliche Vielfalt einen neuen Höhepunkt erreicht. Der SonntagsBlick schreibt: «Diskriminierung der queeren Gemeinschaft wird salonfähig».

«In der rechtsextremen Szene der Schweiz verschiebt sich gerade der Fokus. Waren die Hauptfeinde bisher stets die Gleichen – Muslime, Geflüchtete, Linke –, sind an ihre Stelle nun queere Personen geraten. Diversität hat die Szene zwar schon immer abgelehnt, das männerbündlerische Milieu sieht die weisse Kernfamilie bedroht. Neu ist jedoch, dass der Kampf dagegen ihr Agitationsfeld Nummer eins ist. Zufall ist das nicht, vielmehr Strategie.»

Rechtsextreme knüpfen an aktuelle Debatten an, übernehmen Vorurteile von rechtsbürgerlichen und christlich-konservativen Kreisen – und umgekehrt. Als die Fraktionen des Zürcher Gemeinderats die Attacke auf die Vorlesung der Dragqueens verurteilte, konnte sich nur die SVP nicht zu einer Distanzierung durchringen. Im Gegenteil: Ihre Gemeinderäte nahmen die Kritik der Neonazis auf und verlangten in einem Postulat die sofortige Absetzung der Veranstaltungsreihe.

Begründet wird das von Samuel Balsiger und Stephan Iten (beide SVP) eingebrachte Postulat damit, dass «nur» 0,4 Prozent der Menschen in der Schweiz sich nicht ins «herkömmliche binäre Schema» einordnen lassen und sich «explizit» als nicht-binär bezeichnen». Wer also kommt auf «die absurde Idee», fragen sich die beiden SVP-Politiker, «eine Drag Show für Kinder ab 3 Jahren durchzuführen, damit bereits Kleinstkinder ihr Geschlecht hinterfragen und anhaltend ‹wechseln›?».

«Wer versucht, die Gefahr, welche von Rechtsextremismus ausgeht, kleinzureden, hat nicht nur in der Geschichtsstunde geschlafen, sondern ist ignorant. Extremismus, egal welcher Gesinnungshaltung, ist eine Gefahr für die Stabilität, die Diversität und die Freiheit in unserer Gesellschaft. Er kann auf keinen Fall akzeptiert werden, ja, viel mehr als das. Rechtsextremismus und anderer gewalttätiger Extremismus muss aktiv verhindert werden.»
(Aus einer gemeinsamen Fraktionserklärung aller Parteien – ausser der SVP – im Zürcher Gemeinderat.)

Wird Hetze gegen die queere Gemeinschaft salonfähig? Ja, sind doch in der Zwischenzeit Schlagwörter wie «Gender-Mainstreaming», «Trans-Hype», «Queer-Ideologie» in der Mitte – und rechts davon – der Gesellschaft angekommen.

Er glaube an die Kraft der Natur, schreibt etwa Rolando Burkhard in der Zeitung «Il Paese» aus Locarno, die im Verlaufe der Jahrtausende «in der Tierwelt und in der Menschheit das binäre System männlich/weiblich entwickelt hat, ohne das keine Fortpflanzung möglich ist». Dieses System sei göttlich abgesegnet, denn gemäss Altem Testament «soll Gott selber ja nebst Adam auch die Eva erschaffen haben». (Ich empfehle eine Führung «Homosexualität im Tierreich» im Zürcher Zoo.) Und alles, was der Natur widerspreche, empfinde er als anormal und zutiefst fragwürdig. Er habe aber nichts gegen jene Leute, die «sexuell halt» nicht so sind wie er: «Was mich hingegen stört, ist das zunehmend aggressiv provokative Auftreten der Bewegung als solche.» Dass anschliessend noch Ergüsse über Ueli Maurers «Es»-Aussage über Kim de l’Horizon folgen, ist irgendwie logisch – auch dass er konsequent für Kim männliche Pronomen benutzt und «Blutmond» als «schwaches LGBTQ-Machwerk» bezeichnet.

Im August dieses Jahres veröffentlichte in Deutschland das Bundesamt für Verfassungsschutz unter dem Titel «Queerfeindlichkeit im Rechtsextremismus» einen Bericht. Kernaussage: «Da die Themen Diversität und Gleichberechtigung zunehmend in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Wahrnehmung rücken, ist damit zu rechnen, dass Rechtsextremisten zukünftig noch stärker versuchen werden, diese Themen ideologisch zu besetzen».

Gerade im Kontext des «Pride Month» im Juni dieses Jahres stellte der deutsche Verfassungsschutz eine Vielzahl queerfeindlicher Äusserungen und Anfeindungen von Rechtsextremisten im Internet fest: «Die Feindseligkeit gegenüber der queeren Community zeigte sich insbesondere in der Darstellung sexueller Minderheiten als vermeintlich negative Abweichung von der Norm sowie in vulgären verbalen Angriffen vor allem in den Kommentarbereichen».

Beispiele (Triggerwarnung):

«… nicht nur Homosexualität, sondern auch noch ganz andere Abstrusitäten sollen uns schmackhaft gemacht werden.» (Flugblatt mit dem Titel «Familien schützen! Homo-Propaganda stoppen!»)

«Aus Anne wird Frank, das ist doch krank!». (Mit der Anspielung auf Anne Frank ist diese Aussage nicht nur queerfeindlich, sondern auch antisemitisch.)

«Die Frage warum als Frauen verkleidete Männer überhaupt Kindern etwas vorlesen und nah sein wollen, steht beklemmend im Raum.» (Aus «Info-DIREKT», einem Magazin für Patrioten aus Österreich.)

Im Vergleich zu dieser militanten Rhetorik der Neonazis wirken Aussagen beispielsweise von Ueli Maurer fast harmlos. Halten wir aber trotzdem auch hier den Zeigefinger drauf – wirken sie doch für extreme Kreise wie eine Legitimation für mehr Hass und schlussendlich für Gewalt. Zumal gerade Maurers Rechtfertigungsversuche an einer SVP-Veranstaltung es nicht besser macht: «Wissen sie, mir ist es völlig egal, welches Geschlecht eine Person annimmt oder annehmen will … Aber wenn es gelingt, mit einem kleinen Wort mit zwei Buchstaben die Dekadenz der Gesellschaft aufzuzeigen, dann sind wir in einer gefährlichen Situation.»

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