Mein Wort zum neuen Jahr: Meinungsfreiheiten

In der letzten Woche des Jahres 2022 habe ich viel über Meinungsfreiheit(en) nachgedacht. Schuld daran war ein vom Volk gewählter Nationalrat der SVP und der Tod von Josef Ratzinger – auch bekannt unter dem Namen Papst Benedikt.

Meinungsfreiheit ist das gewährleistete subjektive Recht auf freie Rede sowie freie Äusserung und (öffentliche) Verbreitung einer Meinung in Wort, Schrift und Bild sowie allen weiteren verfügbaren Übertragungsmitteln. Die Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht. (Wikipedia)

Am 23. Dezember schrieb Andreas Glarner – er sitzt seit 2015 für die SVP im Nationalrat – auf Twitter und auf Facebook über einem Bild, das die deutsche Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer zeigt: «Nein, liebe Grüne und Linke – wir wollen unseren Kindern nicht beibringen müssen, dass dies eine Frau sein soll!». Die Kommentare unter dem menschenverachtenden Post sind hässlich und lassen sich nicht einfach nur mit «Unwissenheit» rechtfertigen – und in meinen Augen auch nicht mit Meinungsfreiheit. («Er hat einen Penis und ist deshalb auch ein Mann!», «Dieser Mann hat sich doch nur als Frau verkleidet, um ins Parlament zu kommen, dank der Frauenquote!».)

Bei uns in der Schweiz kann dank der «Rassismus-Strafnorm» sanktioniert werden, wer in der Öffentlichkeit namentlich gegen eine Person oder eine Menschengruppe wegen ihrer «Rasse», Ethnie, Religion und sexueller Orientierung zu Hass oder Diskriminierung aufruft. Leider fehlt in der Aufzählung noch die «Geschlechtsidentität». Es sei aber «nicht die Aufgabe des Strafrechts, Menschen zu sagen, was moralisch richtig oder falsch ist» (sagt die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus). Vielmehr bestehe der «Zweck des Strafrechts darin, Verhalten zu sanktionieren, welches das friedliche Zusammenleben in der Gemeinschaft auf Dauer gefährdet».

Ich jedenfalls empfinde die transfeindlichen Äusserungen von Nationalrat Glarner moralisch verwerflich und habe ihn sowohl bei Facebook und auch bei Twitter wegen Hassrede gemeldet. Facebook prüft noch immer und Twitter «versteckt» den Tweet in meiner Timeline («Du hast diesen Tweet gemeldet»).

Und am Weihnachtsabend um 20.44 Uhr setzte Glarner noch einen drauf und twitterte: «Aus Mann wird Frau … Wäre mal spannend zu erfahren, was uns all die Um- und Rückbauten so kosten …».

Queerfeindlicher Hetzer im Vatikan

Wenn ich nun schreibe, dass am letzten Tag des Jahres mit dem emeritierten Papst Benedikt XVI. einer der «grössten queerfeindliche Hetzer» starb, werden dies wohl gerade religiöse Menschen als moralisch verwerflich finden – immerhin war Josef Ratzinger von 2005 bis 2013 Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche.

  • 1992 schrieb die Kongregration für die Glaubenslehre, dass die homosexuelle Orientierung «eine objektive Unordnung» sei und «in moralischer Hinsicht Anlass zur Sorge» gebe. Chef dieser Kongregration (lat. congregare «sich versammeln») war damals Josef Ratzinger.
  • 2012 behauptete Ratzinger – als Papst, dass die Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften eine «Manipulation der Natur» sei, die zum Verlust der «Würde des Menschen» führe.

Hart ins Gericht mit Josef Ratzinger geht Johannes Kram auf seinem Nollendorfblog: «Wer wirklich bereit ist, auf das zu schauen, was er gesagt und getan hat, muss es endlich aussprechen: Benedikt war faschistoid. Und seine Endgegner waren die Homos.» 

Johannes Kram ist überzeugt, dass Ratzinger kein «harmloser religiöser Spinner» war, den «man nicht weiter ernst nehmen musste». Im Gegenteil: «Er machte mit seinem Die-Homos-sind-das-Übel-der-Welt-Wahn bitterböse Politik». 

2011 sagte Papst Benedikt in einer Rede im deutschen Bundestag: «Ich möchte aber nachdrücklich einen Punkt noch ansprechen, der nach wie vor weitgehend ausgeklammert wird: Es gibt auch eine Ökologie des Menschen.» Johannes Kram übersetzt dies, dass Ratzinger «nicht die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen» anprangerte, sondern vor allem «die sich auflösenden Rollen von Mann und Frau». «Dass der Papst, der sich damals gerade im UN-Menschenrechtsrat für die Akzeptanz staatlicher Homoverfolgung einsetzte, auch seine Bundestagsrede nutze, um diese mit seinem Gerede von der ‹Ökologie des Menschen› zu rechtfertigen, hätte jeder wissen können, der es wollte.»

Ich glaube, dass viele Leute, die sich in der Mitte und links von der Gesellschaft identifizieren, eigentlich nicht transphob sein wollen, aber wir sind es halt. Ich war es auch lange und in gewissen Teilen bin ich es immer noch. Wir können uns nicht durch eine Entscheidung davon lösen. Und ich glaube, dass jetzt dieser Hass, dieser rechte Hass so überbetont wurde – dass war auch so eine Dynamik, glaub ich – von Leuten, die sagen konnten «guck mal, die Rechten, die sind so doof, die hassen trans Menschen noch» um sich auf der sicheren Seite zu wähnen – aber da facto, glaub ich, ist das immer noch in uns. Und was dazu kommt ist, dass wenn geschlechtlich anders markierte Körper in eine öffentliche Sphäre treten, dann läuft ein kulturelles Skript ab, das heisst, dass es dann quasi ein Regiebuch gibt, wie damit umgegangen wird: Wir sagen, dass «erste Frauen im letzten Jahrhundert in öffentliche Ämter kamen, künstlerisch aktiv wurden etc.», dass die Körper dann auf ihre Körperlichkeit reduziert werden und der Erfolg eben nur damit begründet wird, dass sie eben dieses Geschlecht haben. Kim de l’Horizon, Autor*in, im SRF.

2 Replies to “Mein Wort zum neuen Jahr: Meinungsfreiheiten”

  1. Ein Hund aus dem GLARNER Land bellt – und die Karavane zieht weiter …

    Das ist so wie der Satz: «Stell Dir vor, es ist Krieg – und keiner geht hin.»
    Ich hoffe, wir gehen nicht hin… Oder antworten mit einer Tonspur, die höhnisches Gelächter ertönen lasst!

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