Sonntagskolumne: Kinder, wie die Zeit vergeht!

Es ist schon eine Weile her, seit meinem letzten «Wort zum Sonntag». Es war halt viel los in letzter Zeit!

Ein «Wort zum Sonntag» hat ja oft einen religiösen Anstrich, der aber offenbar nicht mehr sehr aktuell ist, wenn wir einen Blick auf die aktuellen Zahlen der Kirchenaustritte werfen. So traten im letzten Jahr 35’000 Menschen aus der katholischen Kirche und 28’000 Mitglieder aus der reformierten Kirche aus. Tendenz sei steigend!

Irgendwo habe ich noch die schriftliche Bestätigung meines Kirchenaustritts. Das muss wohl jetzt etwa 40 Jahre her sein, als ich von einer Pfarrperson zu einem persönlichen Gespräch aufgeboten wurde – und mein Austritt erst danach auch tatsächlich akzeptiert wurde! Kinder, da hatte der Kirchenaustritt noch etwas Rebellisches an sich …

Trotzdem habe ich kurz vor Ostern im Berner Münster die vom Singkreis Wabern dargebrachte dreistündige «Matthäus Passion» genossen – dank der teuersten Ticketkategorie auf einem einigermassen gepolsterten Stuhl und nicht auf einem der harten «Arme-Sünder»-Kirchenbänken. Spirituell bestens «gerüstet» konnte ich dann 14 Tage später das verlängerte Osterwochenende geniessen.

Vor Ostern fand die Mitgliederversammlung von Pink Cross statt. Und da ich noch immer mein Schwulsein politisch verstehe – einmal Aktivist immer Aktivist*in – interessierte mich natürlich, was sich Pink Cross aktuell politisch auf die Regenbogenfahne geschrieben hat.

Dazu gehören etwa die Wahlen im Herbst natürlich, sollten doch möglichst viele queere Menschen in unseren Parlamenten vertreten sein. Dann sollten zudem endlich die unwürdigen Konversionsmassnahmen verboten werden (hier schliesst sich der Kreis zu den Kirchen) und die Stiefkindadoption sollte vereinfacht werden (Stichwort «Leihmutter» – und schon wieder schliesst sich der Kreis zu den Kirchen).

Dann will Pink Cross die Politiker*innen da draussen in den Gemeinden, Städten und Kantonen in «ihren Bestrebungen, queer-freundlicher zu werden», unterstützen. Das ist auch der Grund, warum ich in im hohen Alter doch noch der SP beigetreten bin und mich im Vorstand der SP Bern Süd engagiere. Quasi als Lobbyist für die queere Sache! Und stimmt: Jetzt macht die alte «Zwätschge» noch auf Politiker!

Kinder, ich bin nun gespannt, wohin mich meine politische Arbeit innerhalb der SP führt. Im Vorstand von hab queer bern habe ich jedenfalls ganz offenbar den Zenit überschritten. Oder wie ist die Ernennung zum Ehrenmitglied zu verstehen?

Ehrenmitglied! Über diese Ernennung freue ich mich riesig und vor allem über die Begründung dazu. Ich hätte ein besonderes Flair, sagte Vereinspräsident Christoph Janser in seiner Laudatio, Menschen zu beschreiben, über sie zu schreiben, mit ihnen Interviews und Gespräche zu führen – und ich sei zudem einer der bestvernetzten Menschen.

Und Florian Vock, gemäss Wikipedia «ein Schweizer Politiker der Sozialdemokratischen Partei (SP)», bezeichnete mich als «Grande Dame der Berner Homos». Flo, knapp 30 Jahre jünger als ich, ist natürlich viel mehr als «SP-Politiker». Er ist einer der aktivsten und sichtbarsten queeren Aktivisten der Schweiz, für die Gründung «seiner» Milchjugend hat er meine grösste Hochachtung – und gerade deshalb ehrt mich die Bezeichnung «Grande Dame» besonders.

Aber eigentlich würde «Zwätschge» halt irgendwie besser passen als «Grande Dame». Das wurde mir bewusst, als ich kurz vor Ostern den Stadtrundgang «Gegen den Strom» vom Verein StattLand besuchte und erfahren musste, dass dieser nicht mehr beim ehemaligen «Zwätschgegrill» im Marzilibad enden darf. Die Aufführungen vom Verein StattLand seien kommerziell und dürften deshalb nicht in einer öffentliche Badeanstalt stattfinden. Einmal mehr wiehert der Amtsschimmel lautstark!

Kurz nach Ostern versammelten sich die Nationalrat und Ständerat im Bundeshaus zur Debatte darüber, was längst beschlossene Sache war: Die finanziellen Garantien zur Übernahme der CS durch die UBS. Was aber beschlossen hätte werden können, wären strengere Leitplanken für Grossbanken gewesen. Griffige Gesetze – insbesondere ein Boni-Verbot und schärfere Eigenkapitalvorschriften für systemrelevante Banken – sind längst fällig. Doch die Bürgerlichen und der Bundesrat haben sich da kurz nach Ostern zu Bern geweigert, schärfere Rahmenbedingungen für Bankgeschäft zu schaffen. Die sogenannte «freie Marktwirtschaft» ist eine heilige Kuh und es wird mit vollen Händen ausgebeutet und in die Kassen gegriffen! Und sobald die «freie Marktwirtschaft» Verluste macht, müssen die Steuerzahler*innen ran und retten, was noch zu retten ist. Im Herbst haben wir Gelegenheit, die «richtigen» Vertreter*innen im Bundeshaus zu wählen …

Da steckt irgendwie die ähnliche Logik dahinter, dass am «Car»-Freitag Sonnenhungrige mit dem Auto ins Tessin fahren, sich über eine Verkehrsblockade der Klimajugend aufregen und sich dann auf der Rückreise – wiederum im Stau – über die Nachricht wundern, dass das Tessin wegen der durch den Klimawandel verursachten Regenknappheit austrocknet. Im SUV hat es ja genügend Platz für ein paar Flaschen Mineralwasser.

Um die Stimmung am heutigen Sonntag wieder etwas zu heben, werfen wir zum Schluss noch einen Blick in die «Rheintalische Volkszeitung». Da nervt sich ein Reto Wälter darüber auf, dass er, um «politisch korrekt» zu sein, für eine Anrede bereits drei Zeilen brauche («Liebe-Leserinnen-und-Leser-sowie-lesende-Lesben-Gays-Bisexuelle-Transgender-Queer»). Gleichzeitig aber werde der schreibenden Zunft beigebracht, doch kurz, einfach, sachlich zu bleiben und sich auf die «nackten Tatsachen» zu konzentrieren. Das sei früher einfacher gewesen, habe doch der «sogenannte generische Maskulin» alle abgedeckt. Insgesamt herrsche nun «Wildwuchs» beim Versuch, gendergerecht zu schreiben – und Zeitungsredaktor Wälter schlägt vor, endlich wirkliche Gleichberechtigung zu schaffen. Männer sollten eine eigene Form bekommen und «nicht nur eine, die auch noch generisch für alle gilt». Nur «Leserer», «Journalister», «Politikerer» stehe für eine männliche Form, die auch wirklich eine sei.

Kinder, was hat zum Teufel*in hat diesen armen Menschen geritten? Das Sprichwort «Jemand ist vom Teufel geritten» bedeutet übrigens «jemand handelt unüberlegt».

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