Nochmals: Beschneidung

Auf meine Kolumne vom letzten Sonntag hin habe ich zwei Reaktionen erhalten, die mich im Nachhinein sehr beschäftigt haben. Ich bin mir bewusst, dass nicht nur Männer/Jungs einen Penis haben und nicht nur Frauen/Mädchen eine Vulva – im Zusammenhang mit der Beschneidung von Genitalien wird einfach meist von einer Binarität ausgegangen. Es sind aber alle Geschlechtsidentitäten davon betroffen. Die zweite Reaktion: Ich dürfe die «Verletzung von Mädchen und Jungen» nicht gleichsetzen, das sei «überhaupt nicht ok».

Zitieren wir an dieser Stelle einerseits die Menschenrechtsaktivistin Waris Dirie, die sich von 1997 bis 2003 als UN-Botschafterin und seit 2002 mit ihrer Organisation «Desert Flower Fondation» gegen weibliche Genitalverstümmelung einsetzt: «Es ist nicht nur eine Genitalverstümmelung, sondern eine Sexualverstümmelung». Zitieren wir aber auch Hanny Lightfoot-Klein, eine international bekannte Kritikerin der Genitalverstümmelung. Sie ist der Meinung, dass sich die Begründung der Beschneidungen sowohl bei weiblich gelesenen Genitalien wie auch bei männlich gelesenen Genitalien sich ähneln: Tradition und Brauchtum.

Klar, ein Penis ist nicht dasselbe wie eine Vulva – was auch für Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung gilt. Genitale Zwangseingriffe verursachen immer Leid, egal bei welchem Geschlecht. Was allerdings vergleichbar ist, sind die Motivationen dahinter. Sowohl bei den Zwangseingriffen an der Vulva als auch bei jenen am Penis wird mit Tradition, Religion, angeblichen gesundheitlichen Vorteilen oder Vorstellungen von sexueller Reinheit argumentiert.

Die Amputation der Vorhaut ist eine Körperverletzung

Der diese Woche in der Sendung «Puls» zum Thema Beschneidung von mit Penissen des Schweizer Fernsehens vorgestellte Verein prepuce.ch setzt sich für die genitale Selbstbestimmung ein. Auf der Webseite des Vereins lese ich:

«Das Abschneiden der Vorhaut bedeutet zunächst einen massiven Gewebe- und Funktionsverlust, eine Verletzung, Wunde und Narbe. Die verbleibende Penishaut lässt sich kaum mehr bewegen, bleibt permanent nach aussen gekehrt, trocknet aus und wird unempfindlicher. Die Eichel, die besonders temperatur- und schmerzempfindlich ist, ist dauerhaft äusseren, unangenehmen Reizen ausgesetzt. Eine feine Bewegungswahrnehmung ist wegen der fehlenden Nerven nicht mehr gegeben.»

Die Vorhaut macht ungefähr die Hälfte der gesamten Haut am Penis aus und hat etwa die Grösse einer Handfläche. Sie enthält wichtige Blutgefässe und hochempfindliche Nerven, die lustvolle Reize weitergeben.

Die Schlussfolgerung daraus: «Die Auswirkungen auf die Sexualität sind radikal, mit teilweise schwerwiegenden Beeinträchtigungen. All das kann das psychische Wohlbefinden schwer belasten, umso mehr im Fall eines Zwangseingriffs.»

Jeder Mensch hat ein Recht auf genitale Selbstbestimmung und dies hat unabhängig vom Geschlecht zu gelten! Dass wir dieses einander zugestehen, gehört für uns zum Mindestmass an gegenseitigem Respekt in jeder freiheitlichen Gesellschaft.

prepuce.ch


Knabenbeschneidung – Mehr als nur ein kleiner Schnitt

Die Entfernung der Vorhaut ist die am häufigsten durchgeführte Operation an männlichen Kindern weltweit. Doch der medizinische Nutzen ist umstritten und auch in der Schweiz kommt die Forderung auf, dass Knaben besser vor unnötigen Beschneidungen geschützt werden sollen.

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