Sonntagskolumne: Die Sache mit der Geschlechtsidentität

Ich lese in einer der Tageszeitungen von Tamedia, dass trans Frauen nicht auf einer Frauenwahlliste kandidieren dürfen sollten, da eine Frau «eine erwachsene weibliche Person» sei – weiblich im «biologischen Sinn»! Zwar dürften auch trans Menschen Förderung und Schutz beanspruchen – aber nicht auf Kosten der Frauenrechte.

In Mitteleuropa wüte die Transgender-Ideologie, behauptet die «Schweizerzeit». Dass alle ihr Geschlecht jederzeit «wechseln» und unabhängig von biologischen Fakten bestimmen können, solle «zur Normalität werden». Zudem sei es «übergriffig», wenn verlangt werde, «eine Frau als Mann und einen Mann als Frau» anzusprechen. Obschon – natürlich – niemand was dagegen haben könne, «wenn sich Männer in ihrer Freizeit als Frauen verkleiden».

Letzten Mittwoch habe ich mich am «Stammtisch für trans und intergeschlechtliche Menschen» in der Villa Bernau in Wabern mit einer trans Frau unterhalten. Und auch bei dieser Unterhaltung habe ich festgesellt: Die Person mir gegenüber will ihr Geschlecht keinesfalls ÄNDERN, sondern ihrer Identität ANPASSEN. Und zwar nicht aus einem «Gefühl heraus», wie das gemäss «Schweizerzeit» bei trans Personen üblich sei.

Eigentlich ist es doch einfach!

Keine Ahnung, woher dieser aufschwellende Hass – nicht nur in bürgerlich-konservativen Blättern wie der «Schweizerzeit», sondern auch in doch eigentlich renommierten Tageszeitungen wie «NZZ» und «Tages-Anzeiger» – herkommt. Denn eigentlich ist es doch einfach …

Also: Es gibt mehr als nur zwei Geschlechtsidentitäten (im englischen: Gender). Und eine Identität definiert sich im Kopf – auch die Geschlechtsidentität. Das heisst, so wie ich mein eigenes Geschlecht interpretiere und selbst nach aussen lebe, ist meine Geschlechtsidentität. Und unsere Identität – eben auch die Geschlechtsidentität – kann nicht einfach geändert oder beeinflusst werden. Die Geschlechtsidentität darf auch nicht aufgezwungen werden. Im Gegensatz zur Geschlechterrolle, die nicht unbedingt der Geschlechtsidentität entsprechen muss. Geschlechterrollen sind Erwartungshaltungen der anderen Menschen, wie ein Geschlecht zu sein hat.

Somit hat die Geschlechtsidentität nichts mit den äusseren Geschlechtsmerkmalen zu tun. Wer aufgrund der äusseren Geschlechtsmerkmale beispielsweise als «männlich» gelesen wird, muss nicht unbedingt auch eine männliche Geschlechtsidentität haben.

Die Geschlechtsidentität «cis» bedeutet, dass das bei der Geburt eingetragene Geschlecht mit der persönlichen Identität übereinstimmt. Das heisst, ein Baby kommt auf die Welt und wird als «weiblich» in der Geburtsurkunde eingetragen und nimmt sich später auch als Frau war.

Die Geschlechtsidentität «trans» steht im Gegensatz zu «cis». Das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht entspricht nicht dem subjektiv erlebten Geschlecht im weiteren Lauf des Lebens. So wird beispielsweise einem Menschen, dem bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde, zur trans Frau, wenn sich diese Person als Frau identifiziert, ganz unabhängig von den biologischen Geschlechtsmerkmalen. Dabei können trans Personen jede beliebige Geschlechtsidentität haben: eine männliche, weibliche oder auch jede andere.

In unserer Gesellschaft sind nur gerade zwei Geschlechter anerkannt: männlich und weiblich. Personen, die sich nicht in diese binäre Geschlechterordnung einordnen, haben eine nichtbinäre (non-binary) Geschlechtsidentität.

Bei intergeschlechtlichen Personen weichen die anatomischen, chromosomalen und/oder hormonellen Geschlechtsmerkmale von der medizinischen Norm weiblicher und männlicher Körper ab. Intergeschlechtliche Menschen können sich – müssen aber nicht – als intergeschlechtlich identifizieren. Oder aber sie nehmen sich weder nur mit dem weiblichen noch nur mit dem männlichen Geschlecht wahr. Eine andere Möglichkeit: sie sind beides gleichzeitig oder nichts von beiden. Intergeschlechtlichkeit kann bereits bei der Geburt sichtbar sein oder erst später.

Und natürlich ist das ganze Spektrum von Geschlechtsidentitäten viel grösser als die hier Genannten. Zwischen den beiden Polen «weiblich» und «männlich» gibt es viele Möglichkeiten. Es ist auch möglich, dass sich die eigene Geschlechtsidentität im Laufe des Lebens verändert. Für wieder andere stellt das Geschlecht keinen wesentlichen Teil ihrer Identität dar. Manche können sich in vorhandene Kategorien einordnen, und andere können und wollen sich nicht einordnen und definieren ein neues Geschlecht für sich selbst.

Deshalb ist auch äusserst wichtig und längst angebracht, sein Geschlecht nicht nur als «männlich» oder «weiblich» eintragen lassen zu können, sondern auch als «divers».

Und: Die Geschlechtsidentität hat nichts mit der sexuellen Orientierung zu tun!

One Reply to “Sonntagskolumne: Die Sache mit der Geschlechtsidentität”

  1. Danke Daniel – es war schön, dich am 1. April als Ally an der Demo zu sehen und jetzt diesen Beitrag zu lesen – irgendwie gibt es diffuse Ängste davor, das Denken in 2 Boxen zu verlassen und zuzulassen, dass alle ein wenig freier atmen können, sich selber sein dürfen… und ja, Worte sind wichtig, sie können verletzen und heilen, einsperren und befreien. Ich finde es gut, dass am 14. Juni nicht einfach «Frauenstreik» ist, sondern feministischer Streik, dass Themen wie Intersektionalität, Klassismus, Rassismus etc einbezogen werden… Rechte sind kein Kuchen, bei dem die Stücke kleiner werden, wenn auch andere welche bekommen – niemand ist frei, wenn nicht alle frei sind!

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